Auch in 2022 wird uns das Home Office erhalten bleiben und sicherlich nicht wieder so schnell verschwinden. Wir sollten uns also darauf einstellen, dass zukünftig hybride Bürokonzepte und Arbeitsweisen für Kopfarbeitende eine große Rolle spielen werden. Da ist doch der Jahresanfang ein guter Zeitpunkt, die eigenen Arbeitsweisen, Präferenzen und Stolpersteine zu überdenken. Ein Zeitpunkt, um zu überprüfen, ob die guten Vorsätze auch wirklich gut sind.
Gut! Ein Begriff, den ich im Coaching immer schwierig finde und meine Klient_innen immer frage: was heißt denn ‚gut‘; was bedeutet ‚gut‘ in Deinem Kontext; woran merkst Du, dass etwas wirklich ‚gut‘ ist. Ein guter Vorsatz bedeutet für mich: lässt er sich wirklich umsetzen und bringt er mich meinem übergeordneten Ziel etwas näher? Ist er wirklich attraktiv und für mich umsetzbar?
Wenn Eure ‚guten Vorsätze‘ etwas damit zu tun haben, wie Ihr auch im Home Office produktiv arbeiten könnt, dann habe ich ein paar Tipps für Euch, die ich hier gerne teile. Insbesondere in den Zeiten des Home Office ist die Auseinandersetzung mit der eigenen Produktivität nicht nur etwas was den Chef interessiert, sondern auch etwas, womit sich jede_r in den eigenen vier Wänden auseinandersetzen wird. Der Arbeitsweg war früher schon lang – Weg zur U-Bahn, umsteigen, ins Büro laufen – da geht schnell mal eine halbe Stunde vorbei. Heute ist für einige der Weg noch länger geworden – der Weg vom Bett zum Schreibtisch kann leicht eine Stunde oder mehr in Anspruch nehmen, obwohl beide Möbelstücke sogar im selben Raum stehen. Die möglichen Ablenkungen sind einfach zu verlockend.
Hier nun meine Gedanken, wie Ihr eine Abkürzung vom Bett zum Schreibtisch finden und Euren Arbeitstag so gestalten könnt, wie er zu Euch und Eurer Arbeitsweise passt.
1. Der Tagesrhythmus
Überlegt Euch, wie Ihr Euren Arbeitstag im Home Office zu Euch selbst passend gestalten könnt. Legt Euch einen eigenen Rhythmus zu, den Ihr für eine Woche ausprobiert. Wenn das bereits gut funktioniert, weiter so. Wenn nicht, dann in die Reflexion gehen und überlegen, wo hakt es, was hat nicht funktioniert, was fehlt.
Bestandteile des Tagesrhythmus können ganz verschiedene Elemente sein. So ist für diejenige Person, die den Arbeitsweg vermisst, ein Spaziergang am Morgen vielleicht genau das richtige. Der Arbeitsweg ins Büro, so nervig wie er manchmal war, war eine gute Möglichkeit, den Tag zu strukturieren. Beim Gehen werden Gedanken frei und nehmen unerwartete Richtungen – was liegt heute an, was erwartet mich im Büro, was ist von gestern liegen geblieben, worum kümmere ich mich als erstes?
Für die andere Person ist vielleicht die Tasse Kaffee im Bett ein idealer Tagesbeginn, den Ihr Euch auch gönnen könnt. Setzt Euch allerdings ein eigenes Signal, wann die Zeit gekommen ist, aus dem Bett auszusteigen und in die nächste Phase des Tages einzusteigen. Wie kann ich den Unterschied zwischen einem arbeitsfreien Tag und einem typischen Arbeitstag besonders spürbar machen?
Findet heraus, zu welchen Zeiten Ihr am produktivsten seid und wann die Aufgaben am leichtesten von der Hand gehen. Diese Zeiten sind dann die Kernelemente für Euren Tagesrhythmus. Ihr habt im Home Office die Freiheit, diese Zeiten – in Absprache mit dem virtuellen Team – selbst zu bestimmen, was allerdings auch mit Verantwortung kommt.
Die Reihenfolge der Aktivitäten, die einen typischen Tag prägen – ins Bad gehen, Sport, Arbeiten, um den Haushalt kümmern, soziale Begegnungen, Freizeitaktivitäten und so weiter – kann einmal überdacht werden und ist weniger von äußeren Zwängen bestimmt. Allerdings sollten die Aktivitäten nicht unbedingt mehr Zeit in Anspruch nehmen und nicht weggelassen werden (Stichwort: home office is the enemy of personal hygiene).
2. Die To-Do-Liste
Ja – die To-Do-Liste ist vielleicht etwas, das Ihr noch vom letzten Jahr kennt. Dann heißt es, der Liste eine neue Chance geben und sie von alten Karteileichen zu befreien. Sie sollte kurz genug sein, damit sie nicht angsteinflößend ist, aber auch ausreichend Aktivitäten beinhalten, so dass sie motivierend wirkt.
Ich nutze für mich ein elektronisches Tool: eine Tabelle mit Funktionalität, die ich selbst gebaut habe – wenn Ihr am Template interessiert seid, schreibt mich an. Auch hier gibt es ein befriedigendes Gefühl, wenn die Aktivitäten für den Tag abgehakt werden können und von der Liste verschwinden.
Die To-Do-Liste ist auch ein wichtiger Bestandteil des Tagesrhythmus. Beginnt den Tag mit der Liste und beendet ihn auch mit ihr. Dann wird sie zu einem hilfreichen Freund und Begleiter. Am Morgen einen Blick auf die Liste werfen und überprüfen, welche Tätigkeiten für den Tag angesetzt sind. Dabei nochmals realistisch einschätzen, ob Ihr Euch zu viel vorgenommen haben könntet – oder auch zu wenig. Sind die Aufgaben richtig priorisiert und gibt es eine angenehme Mischung aus Dingen, die erledigt werden ‚müssen‘ und Dingen, die Freude bringen.
Und noch ein Geheimtipp: den Tag mit Emails der letzten Nacht zu beginnen ist selten hilfreich. Das checken und bearbeiten der Emails sollte ein eigenständiges Element im Tagesrhythmus werden und eine angemessene Zeit in Anspruch nehmen.
Im Laufe des Tages bekommen wir viele Anfragen und Aufgaben oder wir stellen uns selbst neue Ziele, die nicht sofort umgesetzt werden können. Dann ist es gut, dass all dies als Aktivität in der To-Do-Liste festgehalten werden können. Mindestens hilft es dabei, die Angst zu verringern, etwas zu vergessen. Das eigene Gehirn muss sich dann nicht mehr mit diesen Aufgaben in der Zukunft beschäftigen, denn sie sind ja an einem sicheren Ort festgehalten. Jetzt entsteht die Ruhe, sich auf die gegenwärtige Aufgabe zu fokussieren.
Aktivitäten, die es auf die To-Do-Liste geschafft haben und einem bestimmten Tag zugeordnet sind, können auch mit einer Priorisierung versehen werden und mit einer ersten Einschätzung des Zeitaufwandes, der benötigt wird. Dies hilft ebenfalls, den Tag zu strukturieren und realistisch zu planen. Ich sehe gleich, was wichtig für den Tag ist und ob ich mir Aufgaben für 18 ½ Stunden oder nur drei Stunden vorgenommen habe. Dann muss die Liste auf jeden Fall nochmals überdacht werden.
Damit die Liste nicht zu lang wird und schon beim Anschauen angsteinflößend wirkt, sollten nur die Aufgaben für die nächsten ein bis zwei Wochen enthalten (für manch einen ist die Liste für die nächsten drei Tage schon lang genug, was auch OK ist). Aber was mache ich mit der Aufgabe für nächsten Monat? Das Geschenk für die Tante, die im Februar Geburtstag hat – wo lasse ich diese Aktivität? Hier können post-it’s an einem Whiteboard weiterhelfen. Ich nutze übrigens hierzu auch ein virtuelles Tool. Denn post-it’s, die rund um den Bildschirm kleben, sind da kontraproduktiv. Die Klebefähigkeit ist auch begrenzt und sie fallen spätestens nach vier Monaten runter. Sie erinnern einen auch permanent daran, was alles noch nicht erledigt ist – kein angenehmes Gefühl.
Post-it’s wurden entwickelt als etwas temporäres und sind dann hilfreich, wenn sie auch so eingesetzt werden. Ich kann also meinen Gedanken auf einem post-it festhalten, sollte mir aber die Zeit nehmen, mich mit diesen post-it zu beschäftigen. Zum Beispiel wäre Freitagnachmittag ein guter Zeitpunkt, um alle post-it’s, die in der Woche entstanden sind, in die Hand zu nehmen und Entscheidungen zu treffen. Ist die Idee noch aktuell oder hat sich das schon erledigt? Kann ich die Idee in eine Aktivität für die nächste Woche übersetzen und auf die To-Do-Liste setzen? Benötige ich noch etwas für die Idee und wie bekomme ich das? Oder handelt es sich um etwas langfristiges, das erst später relevant wird, wie das Geburtstagsgeschenk für die Tante im Februar. Dann gehört das auf einen Parkplatz.
Der Parkplatz ist der Ort für alles Wichtige, das aber nicht sofort in einer Aktivität münden soll. Es ist auch der Platz für die Wünsche und Visionen, die mit den eigenen Zielen zu tun haben. Sucht Euch einen schönen und attraktiven Platz dafür. Es kann ein Stück Wand sein, ein Pinboard, oder auch ein Notizbuch. Bei mir ist es eine virtuelle Version.
3. Die Sanduhr
Früher im Büro hatten einige Mitarbeitende bereits Herausforderungen, in die Konzentration zu gehen. Ich höre immer wieder, dass konzentrierte Arbeit im Home Office leichter umgesetzt werden kann, wenn die häusliche Situation es zulässt.
Für manch einen warten aber gerade auch im häuslichen Umfeld unzählige Möglichkeiten, sich ablenken zu lassen, so dass es schwierig wird, in die Konzentration zu kommen.
Eine Möglichkeit, die ich gerade jetzt nutze, um diesen Text zu schreiben, ist eine Sanduhr (egal ob eine schöne aus Glas oder ein virtuelles Modell). Die Sanduhr gibt mir einen festen Rahmen vor, den ich mir selbst setze. Innerhalb der festgelegten Zeit (bei mir sind es 90 Minuten) widme ich mich ausschließlich dieser einen Aufgabe oder in meinem Fall diesem Text. Auch wenn die Gedanken abschweifen, gucke ich auf die Sanduhr und kehre wieder zu meinem Text zurück. Wenn ich dem Gedanken trotzdem nachgehen möchte, dann wird er auf einem post-it oder auf der To-Do-Liste festgehalten und ich kehre zu meiner Aufgabe zurück. Auch wenn der Wunsch besteht, aufzustehen und die Waschmaschine auszuräumen oder Schokolade zu holen, gucke ich auf die Uhr und weiß, dass dieser Wunsch warten kann, bis die Uhr abgelaufen ist. Ich bleibe also sitzen und kehre zu meiner Aufgabe zurück.
Das hilfreiche an der Sanduhr (abgesehen, dass ich sie einfach schön finde – ich habe inzwischen eine kleine Sammlung) ist, dass sie kein Geräusch von sich gibt, wenn sie abgelaufen ist, es handelt sich um ein rein visuelles Signal. Das bedeutet, wenn ich in den Flow komme und es einfach flutscht, aber die Zeit abgelaufen ist, werde ich von keinem akustischen Signal aus der Konzentration rausgezogen, sondern kann einfach weiter arbeiten. Ich möchte doch die Gelegenheit ausnutzen, wenn die Muse küsst.
Die Sanduhr sollte aber auf keinen Fall zu einem Werkzeug werden, das Druck ausübt. Wenn ich also, trotzdem ich mir konzentriertes Arbeiten vorgenommen habe, einfach nicht produktiv werde, dann ist es auch OK. Ich halte aber trotzdem den Rahmen ein und bleibe z.B. bei meinem Text. Auch wenn am Ende nur vier Worte entstehen und diese lauten: ‚ich habe eine Blockade‘, ist es trotzdem sinnvoll genutzte Zeit. Die Gedanken beschäftigen sich trotzdem mit dem Thema und es gärt langsam. Alles zu seiner Zeit – bei der nächsten fokussierten Zeit wird dann der Text entstehen.
Hilfreich kann es auch sein, sich eine Belohnung ans Ende zu setzen. Wenn ich feststelle, dass die Sanduhr abgelaufen ist, dann darf ich zum Beispiel spazieren gehen, eine Zigarette rauchen, einen Kaffee trinken, mit meinem Freund telefonieren oder meine Emails checken.
Wer diesen Trick der fokussierten Zeit noch eine Stufe intensiver nutzen will, schaltet in dieser Zeit sämtliche Kommunikationskanäle aus. Das Handy ist im Flugmodus, die Email- und Chat-Software wird ausgeschaltet. Für die echten Profis: probiert mal in dieser Zeit den WLAN Router auszuschalten und seht, was dann alles passieren kann.
4. Die kleinen und großen Pausen
Pausen sind ein ganz wesentlicher Bestandteil im selbst gestalteten Tagesrhythmus. Im Büro gab es immer wieder Möglichkeiten, kurz aufzustehen und den Blick vom Bildschirm zu nehmen. Wir wurden von Kolleg_innen angesprochen, etwas gefragt, von einer Unterhaltung abgelenkt, sind zum Drucker gelaufen. So nervig wie das in der Zeit der Konzentration sein kann, so wichtig sind diese Momente aber auch.
Im Home Office haben wir tendenziell weniger solcher Ablenkungen. Wenn der Partner oder die Partnerin ebenfalls im Home Office arbeiten oder die Kinder an den Hausaufgaben sind, dann wird beinahe eine Büroatmosphäre simuliert. Wenn man allerdings allein in den vier Wänden sitzt, muss man selbst dafür sorgen, dass es ausreichende Pausen gibt.
Eine Pause, die mit Erledigungen vollgestopft ist, ist übrigens keine Pause, sondern einfach nur Zeit, die mit einer anderen Aufgabe verbracht wird. Diese Abwechslung kann ebenfalls hilfreich sein, ist aber eben keine gute Pause. Die Frage könnte sich jede_r selbst einmal stellen: was bedeutet für mich eine gute Pause? Was für ein Ziel verfolge ich mit einer solchen Pause?
Das sind Fragen, die ich bei Projekten immer wieder Teilnehmenden in Workshops stelle. Die Antworten sind so vielfältig wie die Teilnehmenden selbst. Einige wünschen sich Erholung im allein sein, andere suchen den sozialen Kontakt. Manch eine Person möchte dann besonders aktiv sein (Stichwort Sport), die andere will sich nur ausruhen und macht am besten einen Powernap.
Sich über die Gestaltung der eigenen Pausen im klaren zu sein, ist ein wichtiger Schritt auf dem Weg zu einer ausgeglichen Balance des eigenen Energiehaushaltes.
5. Reflexion
Wie auch immer Ihr Euren Tages- und Wochenrhythmus gestaltet oder auf welche Art und Weise Ihr eine To-Do-Liste nutzt und eine Pause gestaltet – es kommt darauf an, bewusste Entscheidungen zu treffen.
Die erste bewusste Entscheidung, die ich allen Lesenden gerne ans Herz legen möchte, ist, wie ich die Geräuschkulisse im Home Office, insbesondere wenn ich allen bin, gestalten möchte. Soll Musik spielen oder nicht, ist meine Wohnung zu laut oder zu leise? Ja – zu leise kann es auch sein, um in die Konzentration zu kommen.
Ab und zu ist eine kleine Schummelei auch vollkommen in Ordnung. So können zum Beispiel Tätigkeiten auf die To-Do-Liste gesetzt werden, die Ihr vielleicht kurz vorher schon erledigt habt, oder die nur fünf Minuten in Anspruch nehmen und gleich im Anschluss abgestrichen werden. Denn das Durchstreichen (wenn die Liste auf Papier existiert) oder das Abhaken einer Aktivität ist schließlich ein freudiges Ereignis und wirft im Idealfall Belohnungshormone aus.
Allerdings sollte der Selbstbetrug ein nützliches Maß nicht überschreiten und nicht in Aufschieberitis münden. Daher ist eine Reflexion – alleine oder mit einem Gegenüber wie zum Beispiel einem Coach – in regelmäßigen Abständen extrem hilfreich. Hier kann überprüft werden, ob ich die Ziele, die ich mir gesetzt habe, erreicht habe. Habe ich mir zu viel vorgenommen und gerate in Panik oder sind die Aufgaben nicht herausfordernd genug? Von wem kann ich Unterstützung erhalten? Wer erwartet wann von mir welche Arbeitsergebnisse?
Im Laufe eine Arbeitstages treffen wir unzählige Entscheidungen. In der Zeit der hybriden Arbeitsweisen kommen nun weitere notwendige Entscheidungen hinzu. So sollte nicht nur die Aufgabe selbst mit dem Chef oder Team diskutiert werden, sondern auch wann und wo diese erledigt wird. Kann asynchron gearbeitet werden oder für welche Situationen ist persönlicher Kontakt von Vorteil.
Ich wünsche allen Lesenden ein glückliches Händchen beim Treffen dieser Entscheidungen und einen angenehmen Arbeitsweg vom Bett zum Schreibtisch.